Die große Saisonvorschau 2020/2021

Eine Saison mit ganz speziellen Herausforderungen – RSV Lahn-Dill ist sportlich gerüstet – Umzug in die Rittal Arena

Der deutsche Rekordmeister RSV Lahn-Dill ist sportlich gerüstet für die neue Spielzeit 2020/2021 und steht dennoch vor immensen Herausforderungen, die weit über den Sport hinausgehen. Gemeint sind damit natürlich in erster Linie die aktuelle und nur schwer planbare Situation rund um die Corona-Pandemie, die die Wetzlarer Rollis auf nationaler wie internationaler Ebene genauso wie auf logistischer und wirtschaftlicher trifft.

Der kommende Samstag wird für den RSV Lahn-Dill dabei zu einer Premiere, denn erstmals seit dann 254 Tagen wird der 13-fache deutsche Titelträger wieder ein Pflichtspiel absolvieren. Eine Pause, die in der inzwischen 29. Spielzeit für die Wetzlarer ihres Gleichen sucht. Die Partie am Samstag um 15 Uhr in der Arena Trier wird dabei zugleich die erste Bundesligapartie überhaupt in der Spielzeit 2020/2021 sein, bevor wenig später auch die Konkurrenz an diesem Wochenende in das Geschehen eingreifen wird.

Der Deutsche Rollstuhl-Sportverband, die RBBL und ihre Vereine haben für die neue Saison terminliche Freiräume geschaffen, bürokratische Hürden abgebaut und wollen bzw. müssen für den Spielplan mit 90 Hauptrunden-Partien eine möglichst hohe Flexibilität an den Tag legen. Ohne diese wird ein geordneter Saisonverlauf kaum möglich sein, auch wenn alle Beteiligten darauf hoffen, dass der Faktor Zeit gegen die Pandemie und für den Sport und seine gesellschaftlich wichtige Rolle spielt. Schon in den vergangenen Wochen und Monaten standen Spielleitung und Teams vor gravierenden Herausforderungen und haben enorm viel Arbeitszeit und Knowhow investieren und finanzielle Kraftakte stemmen müssen, um jetzt überhaupt an diesem Startpunkt stehen zu können. Dennoch müssen der RSV Lahn-Dill und seine Fans mit kurzfristigen Spielabsagen, dem Ausfall von Spielern oder sogar Quarantäne Anordnungen rechnen, alles andere wäre naiv.

Wirtschaftliche Situation durch Corona geprägt

Der RSV Lahn-Dill geht mit einem starken und solidarischen Sponsoren-Netzwerk in die Saison, aber auch weiterhin ohne Hauptsponsor. Corona bedingt haben die Mittelhessen bisher knapp ein Dutzend ihrer Partner verloren, vom kleinen Classic Partner bis hin zu Premium Sponsoren. Und dennoch sind die Verantwortlichen stolz und ebenso glücklich, dass in der großen RSV-Familie Solidarität in einem hohen Maße gelebt wird. Nur so konnten noch größere Einbrüche im Saisonetat vermieden werden.

Glücklich und stolz ist man auf Seiten des RSV Lahn-Dill vor allem über den Gewinn eines neuen Trikot-Partners mit dem Wiesbadener Unternehmen LOTTO Hessen, dessen Logo künftig die Brust des sechsfachen Champions League Siegers ziert. Mit weiteren Zugängen in den einzelnen Sponsoren-Kategorien konnte so der Einnahmeausfall aus dem Abbruch der Vorsaison, dem Ausfall des geplanten Final Four in der IWBF Champions League und den bisher fehlenden Ticketing-Umsätzen in diesem Herbst überhaupt ansatzweise überbrückt werden.

Entscheidend wird nun sein, wie sich die Einschränkungen durch die Corona Pandemie im weiteren Verlauf der Saison und der Sponsoring-Markt mittelfristig entwickeln wird. Allesamt Faktoren, auf die der RSV Lahn-Dill keinen oder nur sehr geringen Einfluss hat und künftig haben wird.

Umzug in die Rittal Arena Wetzlar

In der Corona bedingten Spielpause hat der RSV Lahn-Dill intensiv daran gearbeitet, die Weichen für eine Zeit nach der Pandemie zu stellen. Einer der elementarsten Eckpunkte in diesem Konzept war der Umzug in die imageträchtigste Sportstätte der Region, in die Rittal Arena Wetzlar. Die neue und regional strukturierte Betreibergesellschaft, die Arenakonzept GmbH, hat die Türen dabei für den RSV Lahn-Dill weit geöffnet und die Verantwortlichen des Klubs haben diese Einladung dankend angenommen, denn in der bisherigen Spielstätte August-Bebel-Sporthalle wären unabhängig von der Höhe der Inzidenzzahlen eine Zulassung von Zuschauern unmöglich.

„Für uns ist mit dem Umzug von Geschäftsstelle und Spielstätte noch ein gehöriges Brett zu bohren, doch perspektivisch wäre es fatal gewesen, diese Möglichkeit auszuschlagen“, so RSV-Geschäftsführer Andreas Joneck, der ergänzt: „Im Management sind wir uns den Risiken eines solches Schrittes natürlich bewusst, doch die sich daraus ergebenden Chancen übersteigen diese um ein Vielfaches. Um weiter in der deutschen und europäische Spitzen mitzumischen, müssen wir auch bei der Suche eines neuen Hauptsponsors neue Vermarktungswege bestreiten, damit am Ende Mannschaft und Fans auch weiterhin Grund zum Jubeln haben“.

Der Kader mit drei Neuzugängen

Sportlich präsentiert der RSV Lahn-Dill gleich drei namhafte Neuzugänge, die die Qualität im Kader noch einmal deutlich erhöhen. Von der University of Alabama kommt mit der erst 20-jährigen Nationalspielerin Catharina Weiß eines der größten deutschen Talente an die Lahn. Der Esslingerin, die parallel an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ein Jurastudium beginnt, wird eine große Karriere in der Sportart vorausgesagt. Umso mehr freut sich das Trainerduo Janet Zeltinger und Günther Mayer, dass die sympathische Schwäbin zukünftig das Trikot der Wetzlarer Rollis tragen wird.„Catharina ist jung und hat sehr viel Talent. Sie hat ein sehr gutes Spielverständnis und sehr hohe Erwartung an sich selbst“, freut sich Cheftrainerin Janet Zeltinger darauf zu sehen, wie sich ihr Neuzugang aus Schwaben im Laufe der Saison entwickeln wird.

Aus der italienische Serie A kommt dagegen ein Akteur nach Mittelhessen, der bereits auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken kann. Der Brite Ian Sagar, zuletzt bei SBS Bergamo unter Vertrag, spielte einst vier Jahre Seite an Seite mit RSV-Center Brian Bell im italienischen Cantu. Der viermalige Europameister will nun mit seinem alten und den neuen Teamkollegen erstmals in deutschen RBBL für Furore sorgen.„Ian bringt viel Erfahrung aus der britischen Nationalmannschaft und aus der italienischen Liga mit. Er ist ein extrem harter Arbeiter und macht viele kleine Dinge, damit seine Mannschaft erfolgreich sein kann“, ist auch hier die Kanadierin glücklich über die Verstärkung aus der Serie A.
Dritter Neuzugang im Bunde ist eigentlich ein alter Bekannter, der ebenso kurzfristig wie überraschend den Sprung zurück über den großen Teich antritt. Steve Serio, bereits von 2010 bis 2012 und von 2013 bis 2016 im Trikot des RSV Lahn-Dill, wechselt von den New York Rollin´ Knicks zurück zu seiner alten Liebe nach Mittelhessen. Auch um sich perfekt auf die Paralympics im September des kommenden Jahres in der japanischen Hauptstadt Tokio vorzubereiten.„Steve ist ein hoch intelligenter Spieler mit einer großen Historie für den RSV. Mit dem Klub und seiner Nationalmannschaft hat er bereits viele Erfolge gefeiert und wir sind sehr glücklich ihn noch einmal in unserer Mannschaft zu haben“, so Janet Zeltinger zum Rückkehrer aus den USA.

Alle drei Neuzugänge stehen für enorme spielerische Qualität und für eine überaus attraktive Spielweise. Sie kompensieren damit aber auch den Abgangvon Marian Kind nach Frankfurt, von Kai Möller nach Hamburg und vor allem den Verlust des langjährigen Kapitäns Michael Paye, der seine Karriere auf Vereinsebene nach unglaublichen 14 Jahren im RSV-Trikot beendet hat.

Sportliche Ziele 2020/2021

Der Kader für die neue Spielzeit scheint an Qualität, vor allem aber an wichtiger Tiefe gewonnen zu haben. Cheftrainerin Zeltinger und ihrem Co-Trainer Günther Mayer stehen eine Vielzahl von Lineups zur Verfügung, die dafür sorgen werden, dass selbst vermeintliche Schlüsselspieler ihre Ruhepausen bekommen können. Dies ermöglicht dem Trainer-Duo, dem im Hintergrund Videoanalyst Björn Lohmann akribisch zuarbeitet, ein hohes Maß an Flexibilität.

Vor allem der Mix aus großer internationaler Erfahrung auf höchsten Niveau, wie bei den Paralympicssiegern Brian Bell, Annabel Breuer und Steve Serio, Weltmeister Simon Brown oder aber Thomas Böhme und Ian Sagar in Verbindung mit der jugendlichen Energie wie bei Peyman Mizan, Catharina Weiß oder dem erst im Oktober 25 Jahre alte gewordenen routinierten Nationalspieler Christopher Huber, soll ein entscheidendes Mosaikteilchen werden. Zudem wollen die beiden Center Michael Auprince und Dominik Mosler im zweiten Jahr an der Lahn noch mehr Verantwortung übernehmen, während Böhme und Brown die Kapitänsbinde vom langjährigen Vorgänger Mikey Paye übernommen haben und damit auch abseits des Spielfeldes mehr Verantwortung übernehmen wollen und werden.

Entscheidend wird aber auch sein, wie sich der Corona-Lage auf den Trainings- und Spielbetrieb auswirken wird. Von einer normalen Saison geht weder in Reihen des RSV Lahn-Dill noch in der Liga irgendjemand aus. Schon jetzt ist der Trainingsbetrieb nicht vollumfänglich gewährleistet, denn Spieler und Spielerinnen wie Catharina Weiß oder Peyman Mizan, die beide auch im Zweitligakader des RSV stehen, müssen selbst auferlegte interne Sperrfristen im Wechsel zwischen Trainingszeiten in erster und zweiter Mannschaft „absitzen“, um im Falle eines positiven Tests nicht beide Teams zum Zuschauen zu verurteilen. „In dieser Saison ist alles anders als zuvor. Covid-19 konfrontiert uns zwar mit vielen neuen Herausforderungen, aber wir freuen uns dennoch, dass wir endlich in die Saison starten können. Es gibt viele starke Mannschaften und Spieler in dieser RBBL-Saison, daher müssen wir uns auf jedes einzelne Spiel sehr hart vorbereiten“, so Janet Zeltinger in ihrer Beurteilung der Lage.

Greifen trotz aller nicht absehbaren Widrigkeiten die sportlichen Zahnräder ineinander, kann die Saison 2020/2021 für den RSV Lahn-Dill sehr erfolgreich werden. Immer vorausgesetzt, Corona macht den vorhandenen Ambitionen der einzelnen Akteure und des Klubs selbst keinen Strich durch die Rechnung. Und so formuliert RSV-Geschäftsführer Andreas Joneck das Ziel für die neue Spielzeit ungewöhnlich, aber ebenso einleuchtend: „Über allem steht die Hoffnung, dass wir gesund und regulär durch eine Saison kommen, die es so im Rollstuhlbasketball noch nicht gegeben hat, deren Herausforderungen wir noch gar nicht alle kennen, aber auf die wir flexible Antworten haben müssen. Für uns verbietet es sich im Angesicht dieser Situation andere Ziele zu formulieren!“

Die Konkurrenz in der RBBL1

Neben den Wetzlarer Rollis hat aber auch die Konkurrenz ihre Hausaufgaben in den zurückliegenden Monaten gemacht. Vor allem die eingespielten Teams aus Hannover und Trier werden in dieser Saison einen weiteren Schritt näher an die beiden Topteams aus Wetzlar und Thüringen heranrücken. So hat sich Hannover United erneut ganz gezielt verstärkt und aus Wiesbaden den deutschen Nationalspieler Matthias Güntner aus der hessischen in die niedersächsische Landeshauptstadt geholt. Damit hat die Mannschaft von Trainer Martin Kluck vor allem unter dem Brett neben dem Ex-Wetzlarer Joe Bestwick einen weiteren Klassemann in ihren Reihen.

Bei den Dolphins aus Trier herrscht seit Jahren personelle Kontinuität und die spiegelt sich auch in der Stärke des Teams von der Mosel eindeutig wider. Mit dem Serben Zeljko Likic und dem Osnabrücker Dennis Nohl hat das Team um Liga-Scharfschütze Dirk Passiwan in diesem Jahr vor allem die Tiefe im Kader erhöht und gehört als erster Gegner des RSV Lahn-Dill am 31. Oktober zu den gefährlichsten Teams der RBBL.

Traditionell geht natürlich auch der Titelverteidiger aus Thüringen mit großen Zielen in die neue Runde, wobei die RSB Thuringia Bulls vor allem den Angang der beiden US-Boys Jake Williams und Matt Scott kompensieren müssen. Beide haben die Mannschaft von Trainer Michael Engel in Richtung Spanien verlassen und suchen auf der iberischen Halbinsel eine neue sportliche Herausforderung. Von dort kommt mit dem ebenfalls aus den USA stammenden Ian Pierson einer von drei Neuzugängen bei den Bulls. Zusammen mit der britischen Weltklassespielerin Helen Freeman und Nachwuchsspielerin Marie Klier wollen die Thüringen den Titel verteidigen.

Der letztjährige starke Aufsteiger Baskets Rahden muss seine Klasse im neuen Jahr erneut beweisen, dürfte aber wie Hamburg und Wiesbaden zum erwarteten Mittelfeld zu zählen sein. Frischen Wind wollen dagegen die diesjährigen Aufsteiger aus Warendorf und Frankfurt in die RBBL bringen, die beide unter einem neuen Namen antreten. Während sich die Westfalen als BBC Münsterland auf ihre Erstligapremiere freuen, kehrt der dreimalige deutsche Meister aus Frankfurt als ING Skywheelers in die Beletage der Sportart zurück. Beide Klubs werden der Liga ein neues Gesicht geben, aber auch mit den Iguanas aus München um den Anschluss ans Mittelfeld kämpfen wollen.

Der Modus in der RBBL1

Die RBBL geht am kommenden Samstag in ihre 43. Spielzeit, die so ungewöhnlich sein wird, wie keine zuvor. In zahlreichen Sitzungen zwischen Verband, Liga und Vereinen ist vor allem eins klargeworden, alle Beteiligten müssen für die neue Spielzeit extrem viel Flexibilität an den Tag legen, um eine RBBL-Hauptrunde mit 90 Spielen in einem regulären Rahmen bestreiten zu können. Kurzfristige Spielverlegungen drohen und damit auch die moralische Verpflichtung Kompromisse abseits der Statuten eingehen zu müssen. Für die Ausspielung des Titels gibt es daher weiterhin mehrere Modelle, die aufgrund der Corona-Pandemie abhängig von der Durchführbarkeit sein werden. Von einer Meisterschaftsentscheidung lediglich in der RBBL-Hauptrunde, über verkürzte oder veränderte Playoffs bis hin zum altbekannten Modus, muss sich die RBBL alles offenhalten, um überhaupt eine Chance auf den Ligabetrieb 2020/2021 haben zu können.

Wer am Ende der 43. Bundesligameister und der 49. Titelträger in der Geschichte des Wettbewerbes sein wird, ist heute weder sportlich noch logistisch vorherzusagen. Bisher jubelten Hamburg, Heidelberg und Osnabrück über je eine Meisterschaft, Zwickau holte zwei Titel, Frankfurt und Bonn je drei Meisterschaften, die Thuringia Bulls triumphierten viermal, die BSG Duisburg achtmal und der USC München zwölfmal. Deutscher Rekordmeister mit 13 Titelgewinnen ist seit 2017 der RSV Lahn-Dill.

DRS-Pokal

Um einen terminlichen Puffer in einer Saison zu haben, die eigentlich mit Europameisterschaften und Paralympischen Spielen im Sommer des kommenden Jahres einen überaus anspruchsvollen Kalender besitzt, wird der DRS-Pokal Wettbewerb bei seiner 36. Auflage temporär ausgesetzt. Schweren Herzens entschieden sich Verband und Vereine mit großer Mehrheit für diesen nicht einfachen Schritt, um mehr Raum für eventuell notwendige Spielverlegungen haben zu können.

Champions League 2021

Auch die IWBF Europe hat reagiert und Anfang Oktober sämtliche Vor- und Zwischenrunden aller vier Europapokal-Wettbewerbe aus dem Programm genommen. Aktuell erlauben die bestehenden Reiserestriktionen und Gefahren keinen verantwortungsvollen Reiseverkehr quer über den europäischen Kontinent. Während der Männer-Fußball hier fragwürdige Sonderrechte besitzt, gelten für reisende Rollstuhlbasketballer die gesetzlichen Quarantäneregelungen, die Europapokalspiele logistisch und finanziell zu einem unkalkulierbaren Abenteuer werden lassen würden.

Aktuell ist es das Bestreben anhand der Europapokal-Rangliste, vier ausgedehnte Endturniere im Mai 2021 auszutragen. Damit könnte es vom 30. April bis 2. Mai in Wetzlar zu einem Endturnier der acht besten Teams Europas in der IWBF Champions League kommen, nachdem das Final Four der IWBF im Mai dieses Jahres in Wetzlar aufgrund der Corona Pandemie abgesagt werden musste. Abhängig vom weiteren Geschehen arbeiten Klubs wie internationaler Verband aktuell an diesem Konzept, das auf eine breite Unterstützung bauen kann. Als Ranglistendritten wäre der RSV Lahn-Dill bei einem Heimturnier ebenso mit von der Partie wie die Thuringia Bulls oder CD Ilunion Madrid.

RSV-Magazin Defense