Dirk Lösel will mit Athletik Camp und "Tokyo 2020" neue Akzente in der Region setzen
Dirk Lösel ist in Sachen Physiotherapie und Athletiktraining nicht nur in der Region eine feste Größe. In Wettenberg betriebt der passionierte Basketballer sein Praxis „Therapie + Training“, zwanzig Jahre lang war er zudem für die Giessen 46ers tätig, ehe er im vergangenen Jahr dort ein sehr gut funktionierendes System aus Physiotherapie und Athletiktraining an seinen Nachfolger übergeben hat. Nun hat er sich der Sache Rollstuhlbasketball verschrieben. Die Defense-Redaktion führte zuletzt diesbezüglich ein Interview mit Dirk Lösel, das wir nun auch in voller Länge nicht vorenthalten wollen.
Defense: Hallo Dirk, seit Ende letzten Jahres unterstützt du das Team von Nicolai Zeltinger. Wie kam es dazu?
Dirk Lösel: Ich hatte im Sommer letzten Jahres erstmals Kontakt mit Nicolai. Er fragte an, ob ich mir vorstellen könnte, den RSV Lahn Dill im athletischen Bereich zu unterstützen. Da wir zu diesem Zeitpunkt einen Umbruch bei den Giessen 46ers hatten, ergab sich ein zeitlicher Freiraum, der es mir ermöglichte, über neue Aufgabenfelder nachzudenken. Ein wichtiger Punkt bei der Neuorientierung war die Herausforderung etwas zu finden, in dem ich durch meine Tätigkeit noch nicht ausgeschöpfte athletische Potenziale gemeinsam mit den Coaches weiterentwickeln kann.
Defense: Wie findet die Umsetzung des Themas Athletik bei einer Rollstuhlbasketball-Mannschaft statt?
Dirk Lösel: Im Bereich des Rollstuhlbasketballs gibt ein sehr großes Potenzial technisch schon sehr gut ausgebildete Spieler, wie zum Beispiel Tommy Böhme, im athletischen Bereich weiter zu entwickeln. Im Speziellen in den Bereichen Kraft und Agility gibt es noch viel Potenzial nach oben. Nach ersten Gesprächen mit Nicolai Zeltinger, seinem Co Ralf Neumann, aber auch erfahrenen Therapeuten wie Pia Briegel war schnell klar, wie fokussiert und zielorientiert im RBB gearbeitet wird. Dies sehe ich als absolute Voraussetzung, um die angestrebten Ziele zu erreichen.
Durch die Klassifizierung und die unterschiedlichen Behinderungen können wir bei der Trainingsgestaltung, im speziellen im Krafttraining, nur bedingt auf vorhandene Routinen zurückgreifen und mussten sehr viel neu entwickeln und anpassen. Hierbei war es sehr hilfreich sich mit Spielern wie Michael Paye, Joe Bestwick oder Steve Serio vom RSV Lahn Dill austauschen zu können, die allesamt schon auf einem sehr hohen athletischen Niveau trainieren.
Im Vordergrund der ersten Monate stand die Entwicklung eines eigenständigen Athletik Konzeptes, das in enger Zusammenarbeit mit dem Olympiastützpunkt Rheinland in Person von Daniel Jacko entwickelt wurde. Die Grundlage dieses Konzeptes ist unser Athletik Screening als Voraussetzung für eine exakte Trainingssteuerung der Athleten. Über dieses Screening, das wir in einem ersten Probelauf mit den Spielern des RSV Lahn Dill getestet und angepasst haben, werden die athletischen Defizite der einzelnen Athleten ermittelt. Insgesamt ein sehr spannendes Thema, bei dem uns Nationen wie Kanada, Großbritannien und die USA mehr als einen Schritt voraus sind.
Dies sehe ich als Ansporn in den nächsten Monaten und Jahren fokussiert zu arbeiten und die entwickelte Konzeption auch in die Nachwuchsförderung des RBB zu integrieren, um frühzeitig den Bereich Athletik im Rollstuhlbasketball zu etablieren.
Defense: Stichwort Nachwuchsförderung – hier engagierst Du dich seit Jahren sowohl im Gießener Nachwuchs Basketball als auch in deinem Athletik Camp. Wie geht es hier weiter?
Dirk Lösel: Durch meine Tätigkeit als Physiotherapeut und Athletiktrainer im Nachwuchsprogramm der 46ers (BAGM) habe ich in den letzten Jahren Erfahrung in der sportlichen Entwicklung junger Spieler machen dürfen. Junge leistungsorientierte Athletinnen und Athleten sollten nicht nur im Basketball, ab ihrem 12./13. Lebensjahr athletisch gefördert und gefordert werden. Dabei sprechen wir nicht mehr von „sich bewegen“, sondern zielgerichtetem Training. Hier legen die Stammvereine der Region sicherlich schon eine gute Basis.
Meines Erachtens ist es aber ab dem Sprung in eines der Bundesliganachwuchsteams (JBBL, WNBL) wichtig, neben der basketballerischen Weiterentwicklung (technisch und taktisch), auch der athletische Komponente mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Drei bis vier gemeinsame Trainingseinheiten, gepaart mit zwei- bis dreimal Athletik sind hier anzustreben. Hierzu bedarf es aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich finde, da macht das Basketball-Teilzeit-Internat Grünberg (BTI) mit Trainern wie Aleksandra Kojic und Bundestrainer Stefan Mienack seit Jahren im weiblichen Bereich einen sehr guten Job, in dem sie entsprechende Bedingungen geschaffen haben, die solch ein Training zulassen und dies auch nachhaltig umsetzen. Ich glaube der Basketball in Mittelhessen ist im männlichen Bereich auf einem guten Weg dorthin, um potenziellen Talenten, aber auch den bestehenden wie Bjarne Kraushaar, Kevin Strangmeyer und David Amaize, eine gute Plattform zu bieten sich entwickeln zu können und damit Anreize zu schaffen in der Region zu bleiben.
Im Athletik Camp widme ich mich sportartübergreifend der Weiterentwicklung junger Sportlerinnen und Sportler im athletischen Bereich. Hier werde ich ab Sommer einen neuen Weg gehen. In Kooperation mit der heimischen Wirtschaft möchte ich das Projekt „Tokyo 2020“ angehen. Hierbei sollen zehn regionale Talente mit Perspektive sich mittelfristig auf nationalem und internationalem Niveau etablieren zu können, über vier Jahre gefördert werden. Dies bedeutet konkret, dass in Absprache mit deren Trainern und Eltern ein zweimal wöchentliches Athletiktraining, begleitend zum eigentlichen sportartspezifischen Training stattfinden wird. „Paten“ aus der regionalen Wirtschaft werden dies monetär unterstützen, damit wir Equipment und Manpower aufbieten können um internationalen Ansprüchen gerecht zu werden.
In einem kleinen Rahmen, durch die Unterstützung des Sportamtes Gießen, können wir dies momentan schon umsetzen. Heimische Talente wie Lisa Mayer (Leichtathletik), Charlotte Kohl (Basketball) und Lena Preuß (Biathlon) trainieren gemeinsam einmal wöchentlich in Gießen. Erste Erfolge sind hier zu erkennen und sollen mit der Intensivierung des Projektes ausgebaut werden. Die Gruppe soll entsprechend vergrößert und in Bezug auf die Sportarten erweitert werden.