Eine Halbzeit lang zeigte der Aufsteiger Hannover United eine bemerkenswerte Leistung
Die Zuschauer in der Wetzlarer August-Bebel-Sporthalle sollten am vergangenen Samstag ihr Kommen nicht bereut haben, bot sich ihnen am vierten Spieltag der Rollstuhlbasketball-Bundesliga (RBBL) doch ein mehr als außergewöhnliches Spiel. Neuling Hannover United bot dabei in der ersten Halbzeit einen bemerkenswert starken Auftritt, den Weltpokalsieger RSV Lahn-Dill nach der Pause mit einem rekordverdächtigen dritten Viertel konterte. Nach vierzig sehr unterschiedlichen Spielminuten stand so ein 107:37 (20:12/36:26/79:26)-Heimsieg fest, der nahezu alles beinhaltete was Sport nur bieten kann.
„So etwas habe ich auch noch nicht erlebt“, war selbst RSV-Coach Nicolai Zeltinger nach der Schlusssirene vor 750 Zuschauern noch von der Partie gegen den Aufsteiger aus der niedersächsischen Landeshauptstadt beeindruckt: „Dieses dritte Viertel wird sicherlich in die Geschichte eingehen“, bezog sich der 39-Jährige dabei auf einen sensationellen 43:0-Lauf seines Teams nach der Halbzeitpause, der Besucher wie Mannschaft förmlich von den Sitzen riss.
Zuvor jedoch überzeugte der am Ende angesichts des enormen Druck des Gastgebers einbrechende Neuling aus Hannover. Bis zum 12:10 (7.) zeigte sich der Gast wenig beeindruckt und dokumentierte warum in der Vorwoche auch Lahn-Dills Erzrivale Zwickau eine Halbzeit lang enorme Probleme mit der Mannschaft von Trainer Harald Fürup hatte. Immer wieder nutzten vor allem Michael Möllenbeck und Thomas Schröder die Lücken in der löchrigen RSV-Defensive eiskalt aus. Erst ein kurzer Zwischenspurt mit drei Körben in Serie von US-Pointguard Steve Serio zum 22:12 (11.) brachte etwas mehr Distanz zwischen den Favoriten und den mutigen Aufsteiger. Doch Trainer Zeltinger, der sich bereits früh wutentbrannt seines Jacketts entledigte, konnte auch in der Folge nicht zufrieden sein mit dem Auftritt seiner Schützlinge: „Uns hat komplett die Intensität gefehlt, das ist eine Frage des Kopfes. So bin ich in der Halbzeitpause sehr deutlich und vor allem laut geworden“.
Seine Ansprache zum Halbzeittee des bis dato noch sehr verschlafen wirkenden amtierenden Meisters fruchtete. Aus der Kabine kommend legte der RSV nun ein Viertel auf das Parkett, das auch die August-Bebel-Sporthalle noch nicht gesehen hatte. Aggressivität in der Verteidigung, hohes Tempo und enormer Druck auf den Gegner führten nun zu einem komplett anderen Spiel wie noch vor dem Seitenwechsel. „Das war wirklich Spielfreude pur“, so Zeltinger. Die Zuschauer dankten es ihrem Team, gingen enthusiastisch mit und konnten über 47:26 (24.) und 68:26 (28.) ein noch nie dagewesenes 43:0 in einem Viertel feiern und bestaunen.
Trainer Zeltinger hob dabei vor allem Steve Serio hervor, der nicht erst in dieser Phase dem Spiel der Mittelhessen viel Energie brachte. Auch die Tatsache, dass nach vier Wochen Verletzungspause Nationalspielerin Gesche Schünemann erstmals vor heimischen Publikum wieder mitwirken konnte, gab einen „zusätzlichen Impuls“, so der ob der Wirkung seiner Halbzeitworte selbst überraschte Trainer des RSV Lahn-Dill.
Auch wenn der Gast, der sich durch dieses Viertel selbst der Ernte seiner starken ersten Halbzeit beraubte, in der 31. Minute erstmals nach zwölf Spielminuten ohne Korberfolg wieder jubeln konnte, der RSV-Express war nun nicht mehr zu stoppen. Bereits in der 33. Minute erzielte Serio per Dreier das 90:28, ehe Topscorer Dirk Köhler drei Minuten vor dem Ende die „Einhundert-Punkte-Schallmauer“ zum 100:32-Zwischenstand durchbrechen konnte. Am Ende sprang so der höchste Sieg der bisherigen Saison heraus, dessen Höhe erst zweimal zuvor in der Bundesligageschichte des RSV überboten wurde: Beim 114:40 am 28. Januar 2006 gegen die RSG Ludwigshafen und beim bisherigen Rekorderfolg am 23. November 2003 mit 120:37 über die BSG Aachen. So verwunderte es auch nicht, dass gegen Hannover mit Routinier Köhler (24), Serio (21), Paye (18), Kapitän Johnson (13) und Böhme (10) gleich ein ganzes Quintett zweistellig punkten konnte.
Nächster Gegner in der RBBL sind nun am 5. November ebenfalls in Wetzlar die Köln 99ers, nachdem am kommenden Wochenende die Erstrunden-Pokalaufgabe beim Regionalligisten SB DJK Rosenheim auf den Meister wartet.
Lahn-Dill: Dirk Köhler (24), Steve Serio (21/1 Dreier), Michael Paye (18), Joey Johnson (13), Thomas Böhme (10), Thomas Gundert (8), Gesche Schünemann (8), Felix Schell (4), Jan Haller (1), Mina Mojtahedi.
Hannover: Tan Caglar (12), Thomas Schröder (11), Michael Möllenbeck (6), Martin Kluck (3), Kai Möller (3), Niko Röger (2), Felix Heise, Nikolaos Kavazis, Eike Gößling, Kosta Tsatsoulis, Andrea Seyrl (n.e.).
Fotogallerie von Jörg Theimer unter www.gute-blende.de.